Marcel Macho / Amanda Grigoleit,
Interview mit Antonio Florio / Zweiter Teil
Marcel Macho: Wie kann man selbstbestimmtes Leben am besten fördern um es Menschen zu ermöglichen?
Antonio Florio: Bevor ich antworte, was wäre Ihre Wunschantwort?
Amanda Grigoleit: Das ist eine ganz schön schwierige Frage.
Antonio Florio: Also was mir wichtig ist, ist die Haltung. Die Haltung ist der Zugang zu Menschen. Durch die Haltung kann man viel umsetzen. Und zum Beispiel bei mir ist das
die Assistenz. Ich kann so selbstständig leben mit Assistenz und das sollte man allen Menschen mit Behinderung ermöglichen. Die Frage ist nur: können wir allen Menschen mit Behinderung die Verantwortung übertragen? Zum Beispiel bei mir: Ich bin Arbeitgeber im eigenen Haushalt. Das heißt ich stelle Assistenz selber ein. Ich bezahle sie, ich bezahle die Krankenkassen, das Finanzamt und ich erstelle die Rechnungen. Und wenn eine Assistenz ausfällt, dann ist es auch meine Aufgabe Ersatz zu beschaffen. Das können und wollen glaube ich nicht alle. Das heißt wir brauchen ein vielfältiges Angebot, damit jeder so leben kann wie er möchte. Nicht jeder möchte auch in der eigenen Wohnung leben. Andere wollen vielleicht in einer WG leben. Das wichtigste ist für mich die Haltung, die kommt zuerst. Wenn die Haltung nicht stimmt, stimmt auch der Rest nicht. Sie können ruhig nachfragen.
Amanda Grigoleit: Den Wunsch selbstbestimmt zu leben trägt jeder Mensch in sich. Unsere Frage spielt deshalb darauf an, weil vielleicht oft das Bewusstsein fehlt das ein solches Leben möglich ist.
Antonio Florio: Das liegt mitunter an den Angehörigen, die haben Sorgen das kann das Kind mit Behinderung nicht. Das hat es nie gelernt, also kann es das nicht. Das kommt dazu.
Amanda Grigoleit: Wie fördere ich das Ihrer Meinung nach am besten?
Antonio Florio: Ich glaube mit Schuld hat das nichts zu tun, sondern eher mit Sorge. Die haben es auch nicht anders gelernt. Wie gesagt wenn das Kind in Sonderwelten aufwächst dann ist es immer umgeben von Fürsorge. Und da ist es auch akzeptiert. Wenn sich Kinder im Kindergarten nicht mal gegenseitig ärgern, dann bekommt das Kind auch kein Selbstbewusstsein.
Marcel Macho: Wie weit sind wir Ihrer Meinung nach schon in Sachen selbstbestimmtes Leben gekommen und wo müssen wir hin?
Antonio Florio: Wollen Sie jetzt eine optimistische Antwort oder eine realistische? Also wir sind mit Sicherheit schon weitergekommen, allein durch die Behindertenrechtskonvention, die es seit 2009 gibt. Aber leider noch nicht genug bekannt ist. Es gibt viele Wohnformangebote, also da sind wir echt schon weitergekommen. Wo es hakt ist am Geld. Allein der Kostenvorbehalt im Gesetz ist eine Einschränkung. Da gibt es noch genug Leute die vor Gericht klagen müssen damit sie ihr Geld bekommen. Wir sind schon weitergekommen, aber es muss noch viel gemacht werden.
Marcel Macho: Was verstehen Sie unter selbstbestimmtem Leben?
Antonio Florio: Das ich so leben kann wie ich möchte. Es gibt immer Vorgaben, die hat jeder. Wenn ich zur Arbeit muss ist es einfach eine Vorgabe. Das hat mit selbstbestimmt nichts zu tun. Aber wenn ich nach der Arbeit heimkomme möchte ich in meiner Wohnung das tun was ich möchte. Wenn ich raus möchte, dann will ich vorher keine Absprachen machen, sondern dann will ich einfach raus und die Sonne genießen. Oder auch bis in die Nacht Serien gucken.
Marcel Macho: Wo stoßen Sie immer an ihre persönlichen Grenzen?
Antonio Florio: An Menschen die meinen, dass ich durch die Sprachbehinderung nichts im Kopf habe. Das sind die Grenzen die ich jeden Tag habe. Aber ich muss auch zugeben, das sind meine Grenzen, wenn Sie einen Anderen fragen bekommen Sie auch andere Antworten.
Marcel Macho: Was raten Sie anderen Menschen mit Behinderung?
Antonio Florio: Mutig zu sein, sich nicht einsperren lassen den Weg zu gehen und darauf pochen Fehler zu machen. Beides gehört zum Leben dazu und Fehler sind wichtig. Ich weiß wenn Sie das Eltern sagen dann schütteln sie den Kopf.
Amanda Grigoleit: Liegt also ein Teil des Problems daran, dass Eltern ihre Kinder zu sehr behüten?
Antonio Florio: Vor allem Eltern von Menschen mit Behinderung. Menschen mit Behinderung haben oft Eltern die sie behüten und dadurch keine Fehler zulassen. Das ist eigentlich das Hauptproblem der Eltern.
Marcel Macho: Wo stehen wir mit Inklusion im Jahr 2030?
Antonio Florio: Das die Behindertenrechtskonvention bei 50 Millionen Menschen in Deutschland bekannt ist. Vielleicht ist das auch ein Wunsch von mir. Aber das wäre eine sehr klare Steigerung, wenn 50 Millionen Menschen wissen was die Behindertenrechtskonvention ist und was da drinsteht.
Marcel Macho: In welchen Lebensbereichen ist Deutschland am schlechtesten mit Inklusion und wo am besten?
Antonio Florio: Schule und Kindergarten ist sehr ausbaufähig. Die Wohnformen sind auf einem guten Weg. Meine Sorge ist aber, dass wir die Wohnformen nicht gegeneinander ausspielen. Ich kann Ihnen erklären was ich meine. Es geht um den schönen Begriff Assistenzen. Eine Frage an Sie beide: wo hören Sie beide den Begriff Assistenz in der Behindertenhilfe?
Amanda Grigoleit: Meistens in der Pflege, darauf wollen Sie hinaus, oder?
Antonio Florio: Ja, aber wo?
Amanda Grigoleit: Eher bei schwerst mehrfach behinderten Menschen?
Antonio Florio: Ja, und wo wohnen die?
Amanda Grigoleit: Hauptsächlich in Wohnheimen?
Antonio Florio: Ja, und diese Wohnheime benutzen das Wort Assistenz und das ist meiner Meinung nach nicht ganz richtig. Weil Assistenz ist für mich wenn ich die Verantwortung habe. Wenn es klare Anweisungen gibt was ich möchte und was ich nicht will, und die Wohnheime haben qualifizierte Assistenzen. Diese Art von Assistenz ist mehr als Arme und Beine, und das muss mit erwähnt werden. Man kann nicht Assistenz überall verwenden. Dies halte ich für nicht richtig und auch gefährlich. Aber da gebe ich zu, da bin ich einer der wenigen die das so klar unterscheiden. Aber ich halte das für richtig.
Marcel Macho: Was würden Sie Menschen sagen die Inklusion nicht leben?
Antonio Florio: Also, ich bin der Meinung das gibt es nicht. Jeder Mensch lebt Inklusion auf seine Weise. Jeder Mensch hat einen Freundeskreis und Familie wo bestimmt irgendeiner mit Inklusion zu tun hat. Die Frage ist nur wie man die Inklusion interpretiert. So wie das Beispiel im Gemeinderat. Der Herr hat bestimmt am Rande mit Inklusion zu tun gehabt. Aber hat es leider falsch ausgelegt.
Marcel Macho: Was würden Sie anderen empfehlen die sich für Inklusion einsetzen?
Antonio Florio: Das gleiche wie vorher: Mutig sein und vor allem sich nicht blenden lassen durch eine Behinderung. Den Mensch sehen, zumindest versuchen, und den Mensch soweit es geht nicht in Watte einpacken. Soweit es geht, es gibt ja unterschiedliche Behinderungen, aber das ist einfach wichtig. Und wie Sie mich erleben habe ich Sie auch nicht in Watte eingepackt.
Marcel Macho: Was darf man nicht tun, wenn man sich für Inklusion einsetzt?
Antonio Florio: Eigentlich schließt das daran an nicht übervorsichtig zu sein, und vor allem keine Behauptungen erstellen ohne Menschen mit Behinderung gefragt zu haben. Das sollte man nicht tun.
Marcel Macho: Wie fließen Ihre Erfahrungen in Ihre Dozententätigkeit mit ein? Welches Feedback bekommen Sie von Studierenden?
Antonio Florio: Ich verbinde die beiden Fragen. Meine Erfahrungen fließen im Seminar mit ein. Ich habe mir vorgenommen über die Praxis zu berichten und das kommt immer sehr gut an, weil die meisten Studierenden bekommen hauptsächlich Theorie und bei mir bekommen Sie nur Praxis. Und ich tu Sie auch provozieren. Sie müssen bei mir schon ein bisschen mehr rauskommen und ihre eigenen Vorstellungen hinterfragen. Wir sind nicht immer einer Meinung. Aber das Schöne ist, die Meisten nehmen viel mit. Auch wenn sie das jetzt noch nicht umsetzen können, in ein paar Jahren, bin ich überzeugt, können sie es umsetzen. Sie sehen auch gewisse Punkte anders, wie schon erwähnt die Haltung, da lege ich auch sehr viel Wert drauf und es kommt auch sehr gut an. Und es macht Spaß mit jungen Menschen zu arbeiten. Mein Ziel ist immer weniger Pädagogen, mehr Menschen. Aber das darf ich nicht so laut sagen. Es macht Spaß und das Schöne ist, sie nehmen was mit.
Amanda Grigoleit: Vielleicht zum Abschluss noch eine Frage: Wollen Sie den Lesern von unserem Blog noch etwas auf den Weg geben?
Antonio Florio: Offen sein! Und wenn Sie Fragen haben können Sie mich jederzeit kontaktieren.
Die Goethe-Universität in Frankfurt begleitet das Projekt „Kommune inklusiv“ und erforscht, wie sich Schwäbisch Gmünd inklusiv weiterentwickelt.
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