Marcel Macho / Amanda Grigoleit,
Interview mit Antonio Florio

Marcel Macho: Was können Kommunen Ihrer Meinung nach tun um Inklusion zu ermöglichen?

Antonio Florio: Eine gute Frage, vielleicht beginnen wir wo die Inklusion beginnen sollte.
Das ist im Kindergarten und das ist für mich die Basis für alles andere. Ich vergleiche das mit einem Inklusionshaus.
Im Moment baut jeder auf seiner Etage. Aber wir beginnen mit dem Keller, da sollten wir anfangen. Wenn der Keller nicht inklusiv ist, sind auch die anderen Stockwerke nicht inklusiv. Im Moment heißt es immer Inklusion in der Schule aber das ist für mich zu spät, denn das ist der erste Stock im Haus. Von daher finde ich, der Kindergarten muss die Basis sein für Inklusion. Aber das ist leider schwer umsetzbar, da gibt es genug Ausreden warum das nicht stattfindet, leider.

Antonio Florio: Also ich behaupte es gibt sehr wenig Unterschiede zwischen Menschen mit Behinderung und nicht behinderten Menschen. Wenn Sie meine Biografie anschauen,
dann läuft das Leben ziemlich ähnlich ab. Zum Beispiel meine Biografie, kennen Sie die?

Amanda Grigoleit: Ein bisschen, aber Sie können es ja für unsere Leser wiederholen.

Antonio Florio: Das ist sehr gut, ich gebe Ihnen kurz einen Einblick. Ich war 13 Jahre auf einer Sonderschule. Mit 19 bin ich von zu Hause abgehauen, weil meine Eltern nach Italien ziehen wollten. Darauf hatte ich keine Lust, weil ich bin hier geboren und in Italien sah ich keine Zukunft. Also bin ich mit 19 Jahren abgehauen. Und wo wohnen Sie wenn ich fragen darf?

Amanda Grigoleit: Ich wohne in einer WG.

Antonio Florio: Sind Sie auch abgehauen oder waren ihre Eltern einverstanden?

Amanda Grigoleit: Ich bin mit 18 ausgezogen.

Antonio Florio: Und wenn Sie uns jetzt vergleichen, wo ist der Unterschied?

Amanda Grigoleit: Ich musste nicht abhauen und hatte es wahrscheinlich viel leichter.

Antonio Florio: Okay, aber der Weg war der Gleiche. Und das meine ich: Der Weg ist oft der Gleiche.

Marcel Macho: Haben Sie ein Realbeispiel für gut durchgeführte Inklusion?

Antonio Florio: Ein Realbeispiel für mich ist, wenn Menschen mit Behinderung ihren Weg gehen. Das ist ein Realbeispiel. Also ich kann Ihnen jetzt nicht sagen in der Schule läuft´s
super, weil leider läuft´s nicht super. Und in der Arbeit läuft´s auch nicht super. Vor allem ohne Vitamin B, da hat man auf der Arbeit wenig Chancen, als behinderter Mensch.

Marcel Macho: Wie können wir als Gesellschaft im Bereich Inklusion weiterkommen?

Antonio Florio: Darf ich Ihnen ein reales Erlebnis erzählen von dieser Woche? Ich suche kurz die E – Mail, Moment.
Das war diese Woche im Gemeinderat. Da habe ich folgendes erlebt:

Meine Assistenz liest aus der E – Mail vor:
„Hiermit nehme ich Bezug auf die heutige Gemeinderatssitzung und insbesondere auf den Punkt inklusives Wohnen.
Als erstes etwas allgemeines Inklusion = Haltung. In der heutigen Sitzung kam der Satz behinderte Menschen sind an den Rollstuhl gefesselt. Leider habe ich heute kein Mitspracherecht gehabt, sonst hätte ich Sie alle gebeten wenn Sie einen gefesselten Rollstuhlfahrer sehen umgehend die Polizei zu rufen. Das ist falsch formuliert. Ich bin nicht an den Rollstuhl gefesselt, sondern durch den Rollstuhl bin ich frei."

Das Problem ist, die Gesellschaft hat solche Bilder im Kopf. Diese Bilder müssen wir rausbekommen und das ist nicht einfach, da helfen nur gute Argumente. Dieser Satz, der kommt nicht von mir, der kommt von Raul Krauthausen. Der hat das gesagt, so oder so ähnlich. Das müssen wir der Gesellschaft als Spiegel vorhalten. Ich bin nicht an den Rollstuhl gefesselt. Ich bin durch den Rollstuhl frei. Ich muss zugeben ich habe mich sehr zurückhalten müssen. Ich hatte leider kein Mitspracherecht.
Ich bin an dem Abend heim und hab dem Bürgermeister eine E – Mail geschickt. Ich hoffe er merkt sich das.

Amanda Grigoleit: Hat er geantwortet?

Antonio Florio: Leider nicht. Ich glaube mit so einem Satz hat er nicht gerechnet. Und was mich angeht, wenn ich unterwegs bin und ich rede mit Leuten die mich nicht kennen muss ich echt ein paar Minuten kämpfen damit sie mich ernst nehmen. Weil die Gesellschaft vergleicht Sprachbehinderung mit geistiger Behinderung. Es ist nicht einfach dagegen anzugehen. Ich habe zum Beispiel ein Verhaltenscodex erstellt für meine Assistenz. So wie jetzt bei allen öffentlichen Auftritten ist meine Assistenz unsichtbar. Das heißt sie wiederholt nur meine Sätze und nicht mehr. Per Internet, so wie jetzt, geht das wunderbar, wenn wir einkaufen gehen ist es eine echte Herausforderung, weil dann kann sich die Assistenz nicht verstecken. Jetzt sehen Sie nur mich und die Assistenz ist nicht im Bild. Aber wenn wir in einem Raum wären ist es eine komplett andere Schiene.

Marcel Macho: Was sind Ihre Aufgaben als Inklusionsbotschafter und Aktivist?

Antonio Florio: Mit einem Satz: Ich provoziere gerne. Das ist meine Hauptaufgabe. Provokation um dadurch die Haltung der Menschen zu verändern. Außerdem Veranstaltungen zu organisieren z. B. im Mai hat eine Onlineveranstaltung zum europäischen Protesttag für Menschen mit Behinderung stattgefunden. Ich organisiere seit 2009 jedes Jahr Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen und das gehört zu meinem Aktivismus dazu.

ENDE 1. TEIL DES INTERVIEWS

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